LIEBESTRÄUME | DER ERSTE ROMY-SCHELL-KRIMI
Verlag | Aschendorff-Verlag, Münster
Erscheinungsdatum | 2004
LESEPROBE:
„Verdammt, Leo! Mir reicht’s!“
Ich war so wütend, dass ich beinahe mit dem Fuß aufgestampft, mir die Haare gerauft hätte oder mich zu Reaktionen hätte hinreißen lassen, die für ein paar Minuten zwar Erleichterung verschaffen, aber dann für lebenslange Reue sorgen. Schrecklich, wenn man für die Wut kein Ventil findet, weil eine Ohrfeige sinnlos ist und beleidigtes Schweigen nichts bringt.
„Du bist wie alle Männer, Leo! Launisch und unberechenbar! Warum nur halte ich es seit so vielen Jahren mit dir aus? Ich muss verrückt sein, dass ich mich noch nicht von dir getrennt habe! Wo es doch mit dir nur Ärger gibt! Immer, wenn es darauf ankommt, tust du nicht das, was man von dir erwartet. Das, wofür du schließlich da bist!“
Nun konnte ich doch nicht anders. Ich trat Leo mit voller Wucht in die Seite. Aber was brachte es mir ein? Eine verschrammte Schuhspitze und einen schmerzenden Zeh. Leo selbst blieb stehen, wie er stand, so, als ginge ihn das alles nichts an. Es war zum Auswachsen! Wie kam ich jetzt pünktlich nach Amelsbüren?
„Man sollte dich auf dem Schrottplatz abgeben“, knurrte ich Leo an. „Vielleicht kämst du dann zur Besinnung. Anscheinend werdet ihr Männer ja erst vernünftig, wenn ihr merkt, dass es ernst wird. Statt vor vier Wochen noch dreihundert Euro für eine Reparatur zu bezahlen, hätte ich einen Kredit für deinen Nachfolger aufnehmen sollen.“
Aber ich spürte, dass meine Wut allmählich schlapp und müde wurde. Ein letzter Fausthieb auf die Motorhaube, dann ließ ich von Leo ab. Es hatte ja doch alles keinen Sinn. Leo war nicht besser als jeder andere Mann: Je mehr man sich aufregte, desto weniger erreichte man.
Ich war die Weseler Straße stadtauswärts gefahren. Am Schloss und am Aasee vorbei, dann durch den Ludgerikreisverkehr in die Hammer Straße. Schon in der Nähe des Preußenstadions war es mit Leos Laune bergab gegangen. Er nahm das Gas nicht mehr richtig an, wurde langsamer, bockte einige Male, wog mich dann aber wieder für ein paar Kilometer in Sicherheit. Doch als ich in Hiltrup rechts abbog in Richtung Amelsbüren, wurde mir klar, dass an diesem Tag mit Leo nicht zu spaßen war. Wenn Ingo sich ähnlich verhielt, konnte ich immer davon ausgehen, dass er mal wieder bis zum Halse in einem Flirt steckte und mir die Schuld dafür geben wollte, in Versuchung geraten zu sein. Aber Leo war leider nicht so leicht zu durchschauen wie ein Ehemann. Dass mein uraltes Cabrio sich in einen flotten BMW verliebt hatte, war ziemlich unwahrscheinlich. Dennoch verhielt Leo sich so wie ein gemeiner Kerl, der die Ängste und Schwächen seiner Ehefrau genau kennt: Er ließ mich ausgerechnet in dem Augenblick im Stich, als die Bebauung geendet hatte und alle Autofahrer aufs Gas traten, weil sie von nun an siebzig Stundenkilometer statt nur fünfzig fahren durften. Wer war dann schon bereit, den Fuß wieder auf die Bremse zu setzen und an den Straßenrand zu fahren, um einer hilflosen Frau zu helfen?
Ich entschloss mich, Leos Motorhaube zu öffnen, damit kein vorüberbrausender Autofahrer sein schlechtes Gewissen damit besänftigen konnte, dass ich wohl nur zum Zeitvertreib neben meinem Cabrio stand oder um die Autos zu zählen, die zwischen Hiltrup und Amelsbüren hin und her fuhren. Ohne dadurch klüger zu werden, betrachtete ich Leos Innenleben. Wie lange musste ich noch warten? Normalerweise konnte doch kein Mann widerstehen, wenn er die Chance hatte, eine Frau von seinen technischen Fähigkeiten zu überzeugen. Wenn es um Autos, Computer und defekte Glühbirnen ging, genoss jeder Mann seine Überlegenheit! Das wussten die Frauen schon, als es noch um Pferdewagen, Kaminholz und Weidezäune ging. Und sicherlich setzten sie schon damals ihre weiblichen Reize ein, um nicht selbst die Pferde anspannen, zur Axt greifen oder bei Nacht und Nebel den Zaun instandsetzen zu müssen, damit die Rinderherde dort blieb, wo sie hingehörte. Nein, so etwas war Männersache! Genauso wie das Flottmachen eines bockenden alten Autos.
Aber was war nun mit den weiblichen Reizen? Diese Sache sollte man vielleicht ernster nehmen, wenn man einen Wagen in Leos Alter fuhr. Ich hatte mich zwar ordentlich angezogen, denn ich wollte bei dem Rechtsanwalt, der mir mein Erbe aushändigen würde, einen guten Eindruck machen. Aber weibliche Reize? Meine Jeans konnten mit keinem Minirock konkurrieren, wo eine verführerische Lockenmähne einen Mann um den Verstand brachte, gab es bei mir nur einen raspelkurzen Haarschnitt und meine Oberweite war nicht der Rede wert. Ein tiefer Ausschnitt hätte also sowieso nichts gebracht.